Grundsätze für den Flankenschutz
Aus der Verfügung 80 Ssb 153 der Deutschen Reichsbahn-Gesellschaft vom 31. März 1930:
Vorläufige Grundsätze für den Flankenschutz der Fahrwege auf Hauptbahnen
Vorbemerkung
Die Grundsätze sind beim Neubau und bei größeren Veränderungen von Gleis- oder Sicherungsanlagen sowie bei der gänzlichen Erneuerung von Sicherungsanlagen in vollem Umfang anzuwenden. Vorhandene Anlagen sind allmählich und nach Maßgabe der zur Verfügung stehenden Mittel zu ergänzen, wobei in erster Linie der Flankenschutz der Personenzugfahrwege (BO § 21 (9)) zu berücksichtigen ist.
A. Allgemeines
- Zur Sicherung ein- und ausfahrender Züge gegen Flankengefährdungen durch
a) | feindliche Zugfahrten (Abschnitt B), |
b) | feindliche Rangierfahrten und unbeabsichtigt ablaufende Wagen (Abschnitt C) |
ist ausreichender Schutz – Flankenschutz – vorzusehen, soweit nicht in nachstehenden Bestimmungen Ausnahmen zugelassen sind.
- Bei einfahrenden Zügen hat sich der Flankenschutz nicht nur auf den Einfahrweg selbst, sondern auch noch darüber hinaus auf den sogenannten Durchrutschweg zu erstrecken. Unter dem Durchrutschweg ist diejenige Gleisstrecke zu verstehen, die hinter dem den Einfahrweg begrenzenden Signal für den Fall freizuhalten ist, daß ein Zug über den für ihn festgesetzten Halteplatz unbeabsichtigt hinausfährt (durchrutscht).
- Die Länge des Durchrutschweges (Ziff. A, 2), die für jeden Einfahrweg durch die Reichsbahndirektion besonders festzusetzen ist, muß sich einerseits nach den örtlichen und betrieblichen Verhältnissen (Neigung der Strecke, auf der die Züge ankommen, Bremsweglänge der Züge usw.), andererseits danach richten, inwieweit der Betrieb durch das Freihalten des Durchrutschweges behindert werden könnte. Sie ist unter gewöhnlichen Verhältnissen auf 100 bis 200 m zu bemessen. Im allgemeinen ist sie nicht über 300 m auszudehnen; unter besonderen Verhältnissen kann sie, wenn der Betrieb es erfordert, auch weniger als 100 m betragen.
- Für den Flankenschutz der Zugfahrten sind nach Möglichkeit die vorhandenen Weichen als Schutzweichen zu benutzen, soweit dies nicht nach Ziff. B, 5 unangebracht ist. Nötigenfalls sind für den Flankenschutz besondere Weichen einzulegen (s. z.B. Ziff. A, 6 und 7), insoweit nicht im Einzelfall einfachere Flankenschutzeinrichtungen ausreichen. Abgesehen von den unter Ziff. B, 5 erwähnten Fällen sind vorhandene Weichen auch dann als Schutzweichen zu benutzen, wenn Flankengefährdungen für gewöhnlich nicht zu befürchten sind.
- Bei Güterzug-Ein- und Ausfahrwegen kann auf besondere Flankenschutzeinrichtungen gegen feindliche Rangierfahrten oder unbeabsichtigt ablaufende Wagen (Ziff. A, 1b) verzichtet werden, wenn ihre Herstellung unverhältnismäßig hohe Aufwendungen erfordern würde und für die Abwendung von Flankengefährdungen durch betriebliche Maßnahmen gesorgt ist.
- Am Zusammenlauf von Hauptgleisen, die nur in der gleichen Richtung von Zügen befahren werden, sind besondere Schutzweichen mit Stumpfgleisen nur dann anzuordnen, wenn am Zusammenlauf mit Rangierbewegungen zu rechnen ist, die den Fahrweg von Personenzügen gefährden können (Abb. 1).
Abb. 1
- Bei knapper Länge des Überholungsgleises ist am Gleisende eine Schutzweiche mit kurzem Gleisstumpf anzuordnen, wenn die Gefahr besteht, daß der Schluß eines langen Zuges nach dem Halten über das Merkzeichen der Endweiche zurückgleitet und die benachbarte Fahrstraße gefährdet (Abb. 2).
Abb. 2
B. Flankenschutz der Züge gegen feindliche Zugfahrten
- Der Flankenschutz gegen feindliche Zugfahrten (Ziff. A, 1a) kann bewirkt werden:
a) | durch gegenseitigen Ausschluß der feindlichen Fahrwege oder durch betriebliche Anordnungen, die den Fahrwegausschluß ersetzen (Ziff. B, 2 und 3), |
b) | durch Schutzweichen, sofern deren Verwendung nicht aus besonderen Gründen unangebracht ist (Ziff. B, 5). |
- Zwei Fahrwege, die nicht in ihrer ganzen Länge getrennt voneinander verlaufen, sind gegenseitig auszuschließen. Zur Fahrweglänge in diesem Sinne rechnet auch die Durchrutschlänge (Ziff. A, 2).
- Von dem gegenseitigen Ausschluß kann indes abgesehen werden, wenn ein Zusammenstoß nur dann eintreten kann, wenn beide Züge gleichzeitig durchrutschen. Bei der in Abb. 3 dargestellten Anlage müßten sich beispielsweise die Einfahrt A und die Ausfahrt D gegenseitig ausschließen, während die Einfahrten A und B gleichzeitig stattfinden könnten.
Abb. 3
- Die Befehlsabgabefelder feindlicher Fahrwege (Ziff. B, 2) sind im Blockwerk der Befehlsstelle auch dann auszuschließen, wenn der Ausschluß bereits durch die an der Signalbedienungsstelle vorhandenen Abhängigkeiten bewirkt wird. Insoweit die erforderlichen Ausschlüsse nicht zwangsläufig im Befehlsblock oder im Befehlsstellwerk vorhanden sind, sind sie durch entsprechende betriebliche Anordnungen (vergl. FV § 24 (1)) zu ersetzen.
- Wo es infolge der Verwendung einer Weiche als Schutzweiche vorkommen kann, daß ein einfahrender Zug in ein Stumpfgleis gelangt, muß dieses ausreichend lang (möglichst nicht unter 200 m) und im hinteren Teil besandet sein und darf nicht regelmäßig zum Abstellen von Wagen dienen. Ferner dürfen auf derjenigen Länge, die als Durchrutschweg (Ziff. A, 2 und 3) in Frage kommt, keine Gleissperren liegen. Wo das Stumpfgleis nicht in der angegebenen Länge hergestellt oder auf seine regelmäßige Benutzung als Abstellgleis nicht verzichtet werden kann, ist auf die Herstellung einer zwangsläufigen Abhängigkeit zwischen der Zugangsweiche zu diesem Stumpfgleis und dem Einfahrsignal Bedacht zu nehmen. Hierbei muß die Weiche in der vom Stumpfgleis abweisenden Stellung verschlossen sein, bevor das Einfahrsignal auf "Freie Fahrt" gestellt werden kann. Ausnahmen bedürfen der Genehmigung der Hauptverwaltung, in Bayern der Gruppenverwaltung Bayern.
Wo es ohne zu große Behinderung des Betriebes möglich ist, ist die gleiche Maßnahme auch bei längeren Stumpfgleisen zu treffen, wenn das Hauptgleis, in dessen unmittelbarer oder mittelbarer Verlängerung das Stumpfgleis liegt, von Zügen ohne Aufenthalt durchfahren wird, oder wenn das Stumpfgleis vor hohen Böschungen, Unterführungen, Hochbauten oder sonstigen gegen Entgleisungen oder Aufstöße nicht gesicherten Bauwerken endet.
C. Flankenschutz der Züge gegen feindliche Rangierfahrten und unbeabsichtigt ablaufende Wagen
- Der Flankenschutz gegen feindliche Rangierfahrten (Ziff. A, 1b) kann bewirkt werden:
a) | unmittelbar durch besondere Flankenschutzeinrichtungen (Ziff. C, 4), |
b) | mittelbar durch die Anwendung der Bestimmung, daß, solange das Signal für eine Einfahrt oder eine Ausfahrt auf Fahrt steht, Rangierbewegungen, die den Fahrweg des Zuges gefährden können, nicht ausgeführt werden dürfen (FV § 77 (4)). |
- In der Regel ist zum Schutz gegen feindliche Rangierfahrten der unmittelbare Flankenschutz (Ziff. C, 1a) zu verwenden. Der mittelbare Flankenschutz (Ziff, C, 1b) kommt nur in Frage, wo es sich darum handelt, eine Zugfahrt gegen Rangierfahrten zu schützen, die in benachbarten Hauptgleisen entspringen, sofern nicht in dem betreffenden Falle die Einrichtung des unmittelbaren Flankenschutzes erforderlich erscheint. Gegen Rangierfahrten aus Nebengleisen ist der mittelbare Flankenschutz nicht als ausreichend anzusehen; er ist ferner nicht geeignet für Weichenbezirke, deren Stellwerk zeitweise außer Betrieb gesetzt wird (vgl. Verfügung 80 D 19 947 vom 4. Januar 1926).
- Der Flankenschutz gegen unbeabsichtigt ablaufende Wagen (Ziff. A, 1b) ist nur unmittelbar durch Gleissperren (Ziff. C, 5) zu bewirken.
- Zur Herstellung des unmittelbaren Flankenschutzes werden, abgesehen von Schutzweichen (Ziff. A, 4) verwendet:
a) | Gleissperren, |
b) | freistehende Gleissperrsignale. |
In geeigneten Fällen kann für Güterzugfahrwege ein Flankenschutz gegen Rangierfahrten auch dadurch bewirkt werden, daß ein am Ablaufberg angeordnetes Ablaufsignal in Haltstellung verschlossen wird.
- Als Gleissperren (Ziff. C, 4a) werden verwendet:
a) | Sperrklötze, |
b) | Entgleisungsschuhe, |
c) | Entgleiseweichen. |
Sperrklötze sollen vermöge ihrer Bauart die gegen sie anlaufenden Fahrzeuge aufhalten, Entgleisungsschuhe und Entgleiseweichen sollen solche Fahrzeuge zur Entgleisung bringen.
- In den Fällen, wo Schutzweichen nicht zur Verfügung stehen, ist demnach, sofern nicht auf Flankenschutzeinrichtungen verzichtet werden kann (vgl. Ziff. A, 5), nach folgenden Regeln zu verfahren:
a) | Nebengleise, die zum Aufstellen, Abstellen und Ordnen von Wagen dienen, sind abzuschließen:
|
aa) | bei einer Länge von weniger als 60 m durch einen Sperrklotz, |
bb) | bei eine Länge von 60 m und darüber durch einen Entgleisungsschuh. |
b) | Nebengleise, die ausschließlich dem Lokomotivverkehr dienen, sowie Durchlauf- und Ausziehgleise sind abzuschließen:
|
aa) | in der Regel durch ein freistehendes Gleissperrsignal, |
bb) | ausnahmsweise durch eine Entgleiseweiche, wenn ein freistehendes Gleissperrsignal allein nicht für ausreichend zu erachten ist. |
c) | Nebengleise, die sowohl zum Aufstellen, Abstellen und Ordnen von Wagen als auch dem Verkehr von Lokomotiven und Rangierabteilungen und zum Ausziehen dienen, sind durch einen Entgleisungsschuh abzuschließen, der nötigenfalls mit einem freistehenden Gleissperrsignal zu verbinden ist. |
d) | Zum Abschluß von Hauptgleisen sind ausschließlich freistehende Gleissperrsignale zu verwenden. Gleissperren sind in Hauptgleisen nicht zulässig. |
D. Bauvorschriften
I. Schutzweichen
- Schutzweichen (Ziff. A, 4) müssen bei gegebenem Fahrsignal grundsätzlich in abweisender Stellung verschlossen sein. Ausnahmen s. Ziff. D, I, 2 und 3.
- Verlangen zwei Fahrstraßen, die den Anforderungen des Betriebes gemäß gleichzeitig benutzt werden müssen, eine verschiedenartige Stellung der gleichen Schutzweiche und ist dieser Zustand nicht durch Änderung der Fahrordnung oder der Gleisverbindungen zu vermeiden, so ist der Flankenschutz durch Anordnung eines freistehenden, in der Grundstellung Signal 14a zeigenden Gleissperrsignals (Ziff. D, III) vor der Schutzweiche zu ergänzen (Abb. 4).
Abb. 4
Durch Verwendung eines auslösbaren Weichenverschlusses ist alsdann zu ermöglichen, daß die Schutzweiche für jeden der in Frage kommenden Fahrwege in der jeweils abweisenden Stellung verschlossen werden kann, solange nur einer dieser Fahrwege eingestellt ist. Müssen dagegen beide Fahrwege gleichzeitig eingestellt werden, so ist der Flankenschutz des wichtigeren Fahrweges durch die in abweisender Stellung verschlossene Schutzweiche, der Flankenschutz des minder wichtigen Fahrweges durch das in der Sperrstellung verschlossene Gleissperrsignal zu bewirken. Ein Durchrutschweg (Ziff. A, 2) gilt einem Fahrweg gegenüber als minder wichtig.
Die Festsetzung einer einheitlichen Bauart für die vorbeschriebene Flankenschutzanordnung bleibt vorbehalten.
- Ist die unter Ziff. D, I, 2 vorgeschriebene Flankenschutzanordnung aus örtlichen Gründen nicht ausführbar, so ist die Schutzweiche nur für den wichtigeren Fahrweg in der abweisenden Stellung zu verschließen, für den minder wichtigen dagegen frei zu lassen. Die Schutzweiche ist indes auch bei Einstellung des letztgenannten Fahrweges in die abweisende Stellung zu bringen, sofern nicht der erstgenannte Fahrweg gleichzeitig eingestellt werden muß. Die Hebel derartiger Schutzweichen sind mit einem Zusatzschild zu versehen, das in roten Buchstaben folgende Aufschrift trägt: „Bei der Fahrt … umlegen, wenn nicht gleichzeitig Fahrt … stattfindet!“
II. Gleissperren
- Mit jeder Gleissperre (Ziff. C, 5) sind ein oder mehrere Signale 14/14a zu verbinden, die in der Regel in der Höhe der Weichenlaternen anzuordnen sind. Ist die Gleissperre mit einer Weiche gekuppelt (Ziff. D, II, 4), so daß beide gleichzeitig umgestellt werden, so ist nur ein Gleissperrsignal erforderlich, das stets rechts (in der Entgleisungsrichtung gesehen) neben dem zugehörigen Fahrgleise steht (SO. AB. 65). Das Gleiche ist der Fall, wenn die Gleissperre durch Schlüsselabhängigkeit oder Folgeabhängigkeit der Hebel so mit der Weiche verbunden ist, daß die Gleissperre zwangsläufig vom Gleise entfernt sein muß, bevor die Weiche auf das früher gesperrte Gleis umgestellt werden kann, und daß die Gleissperre erst dann wieder aufgelegt werden kann, wenn die Weiche in die von der Gleissperre abweisende Lage gebracht worden ist.
Steht eine Gleissperre nicht in der vorbeschriebenen Zwangsabhängigkeit von einer Weiche, so sind an der Gleissperre zwei Gleissperrsignale – an jeder Seite des Gleises eins – anzubringen.
- Die Gleissperre ist nicht weiter als unbedingt erforderlich, jedoch so weit vom Merkzeichen der Weiche entfernt anzuordnen, daß ein zum Entgleisen gebrachtes Fahrzeug nicht in die Umgrenzung des lichten Raumes des zu schützenden Gleises gerät. Als Regelentfernung ist das Maß von etwa 6 m anzunehmen. Bei kurzen, durch einen Sperrklotz abgeschlossenen Gleisen (Ziff. C, 6a (aa)) kann dieses Maß bis auf 3 m eingeschränkt, bei Entgleiseweichen muß es unter Umständen bis auf 30 m erhöht werden. Zwischen der Gleissperre und dem Merkzeichen der Einmündungsweiche dürfen Wagen, Lokomotiven oder Rangierabteilungen nicht aufgestellt werden.
- Wo Gefahr besteht, daß ein zur Entgleisung gebrachtes Fahrzeug in die Umgrenzung des lichten Raumes des Nachbargleises gerät, ist die Gleissperre mit einer mindestens 9 m langen Leitschiene zu verbinden. Der Raum zwischen Fahr- und Leitschiene ist mit einer etwa 50 mm hohen Schicht feinen Kieses auszufüllen.
- Wegen der Kuppelung von Gleissperren untereinander oder mit Weichen wird auf die Verfügung 80 D 16 514 vom 21. Dezember 1926, betreffend Kuppelung von Weichen, verwiesen.
III. Freistehende Gleissperrsignale
- Das freistehende Gleissperrsignal (Ziff. C, 4b) ist in der Regel in geringer Entfernung vor dem Merkzeichen der Einmündungsweiche aufzustellen. Wo es angezeigt erscheint – z.B. weil sich Lokomotiven oder Rangierabteilungen dem Gleissperrsignal mit erheblicher Geschwindigkeit nähern können –, kann auch eine größere Entfernung gewählt werden. Es ist alsdann jedoch zu verbieten, daß zwischen dem Gleissperrsignal und dem Merkzeichen der Einmündungsweiche Rangierabteilungen, Lokomotiven oder Wagen aufgestellt werden.
- Die gemäß Ziff. D, III, 1 angeordneten freistehenden Gleissperrsignale sind in der Regel als deckende Signale im Sinne der in FV § 77 (4) gegebenen Bestimmungen anzusehen. Ausnahmen bestimmt der Vorstand des Reichsbahnbetriebsamtes.
- Das freistehende Gleissperrsignal ist in einer Höhe von etwa 4,0 m über SO anzuordnen. Wegen der Kuppelung des Gleissperrsignals mit einer Weiche wird auf die Verfügung 80 D 16 514 vom 21. Dezember 1926, betreffend Kuppelung von Weichen, verwiesen. Wegen der Verbindung eines Gleissperrsignals mit einer Gleissperre siehe Ziff. C, 6c.
Letzte Änderung am 22.12.2003
© Steffen Buhr